Sehr geehrte Damen und Herren,
wir, die Unterzeichnenden, lehnen die Verschärfung der Straßenordnung ab, weil sie den gesellschaftlichen Diskurs und das Miteinanderumgehen in unserer Stadt insgesamt verschärfen wird.
Außerdem sind wir sehr irritiert darüber, dass diese Veränderung im Kontext mit pädagogischen Konzepten im Bereich der Prävention in den Jugendhilfeausschuss gebracht wurde. Im Sozialausschuss war eine Diskussion zu der Thematik gar nicht vorgesehen.
Prävention ist mit einer Verschärfung von bestehenden Verhaltensregeln nicht möglich, zumal an vielen Stellen des Entwurfs das zu ahnende Verhalten sehr unbestimmt beschrieben wird.
So wird zum Beispiel festgelegt, dass jedes Verhalten untersagt ist, „das geeignet ist, andere zu gefährden, mehr als nach den Umständen vermeidbar, zu behindern oder zu belästigen…“ Konkret bedeutet das aus unserer Sicht, dass die Sicherheitskräfte nach ihrem Ermessen entscheiden, wann ein Verhalten als fehlerhaft einzustufen ist oder nicht. Dabei sind die bestehenden Gesetze, die regeln, welches Verhalten strafbar ist und welches nicht, völlig ausreichend.
Erstmals verboten und mit bis zu 1.000 Euro Geldbuße bedroht wird die „Wiederkehrende, ortsfeste Ansammlung von Personen (Lagern) die dabei Passanten bei der Nutzung des öffentlichen Straßenraums im Rahmen des Gemeingebrauchs behindern oder belästigen“ [§ 12 (1) 2.].
Ebenfalls erstmals mit bis zu 1000 Euro Geldbuße bedroht werden „Störungen vor allem in Verbindung mit Alkoholgenuss…“ [§ 12 (1) 3.].
Mit dieser Verordnung werden die Menschen, die zum Teil auf der Straße leben, vertrieben. Betroffen werden auch diejenigen sein, die sich in Gruppen auf der Straße treffen, weil sie keine finanziellen Möglichkeiten haben, zum Beispiel Gaststätten aufzusuchen. Dies läuft auf die Ausgrenzung einzelner Gruppen aus dem öffentlichen Raum hinaus. Eine „Ansammlung von Personen“ wird man letztendlich per Ordnungsrecht nicht verhindern. Eine derartige Vertreibungspolitik ist menschenunwürdig. Zudem können verhängte Bußgelder und Ordnungsgelder von den meisten Betroffenen nicht bezahlt werden. Dies könnte in der Folge zu Erzwingungshaft oder krimineller Geldbeschaffung führen.
Weitere Vorschriften der verschärften Straßenordnung würden die Nutzung des öffentlichen Raums einschränken. So soll die städtische Ordnungsbehörde u.a. auch erstmals Zuwiderhandlungen gegen Folgendes mit bis zu 1000 Euro bestrafen können:
‐ „Musiker und Schauspieler dürfen nur in den ersten 30 Minuten einer vollen Stunde ihre Darbietungen vorführen. Die zweite Hälfte jeder vollen Stunde ist spielfrei zu halten. Nach jeder Darbietung ist der Standort so zu verändern, dass die Darbietung am ursprünglichen Standort nicht mehr hörbar ist, der neue Standort muss mindestens 200 Meter entfernt sein.“ [§ 19 (2)]
‐ Wer Informationsmaterial verteilt, ohne „sein von Passanten in einem Umkreis von 100 m weggeworfenes Werbematerial unverzüglich wieder einzusammeln.“ [§ 20 (3)]
Muss die Arbeit von Ehrenamtlichen erschwert werden? Gibt es in Solingen zu viel Straßenmusik? Brauchen wir nicht viel eher eine Belebung des bürgerschaftlichen Engagements und der Innenstadt insgesamt?
Wir lehnen alle Maßnahmen ab, die darauf abzielen, die subjektiven Ängste in der Bevölkerung durch härtere ordnungsrechtliche, polizeiliche oder strafrechtliche Bestimmungen zu bedienen. Eine Law‐and‐Order‐Politik bewirkt in den meisten Fällen keine messbaren Vorteile für die öffentliche Sicherheit und stellt daneben häufig eher eine Gefahr für den Zusammenhalt und den Frieden in der Bevölkerung dar.
Stattdessen sollte die aufsuchende Sozialarbeit mit ihren guten Erfolgen bei der Arbeit mit den Betroffenen stärker ausgebaut werden.
Eine Verschärfung der Straßenordnung hilft nicht im Zusammenleben unserer Stadtgesellschaft, sondern verhärtet eher die Kommunikation untereinander. Aus diesem Grunde erwarten die Unterzeichner, dass diese Pläne fallen gelassen werden und man sich an die bereits bestehenden Gesetze und Verordnungenhält.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christoph Humburg für Carfitasverband Wuppertal/Solingen e.V.
Norbert Schäfer für Jugend- und Drogenberatung anonym e.V.
Finn Grimsehl-Schmitz für Jugendstadtrat Solingen