Haben Sie schon einmal etwas von ICAN gehört, bevor am 6. Oktober bekannt wurde, dass diese Initiative mit dem diesjährigen Friedensnobelpreis ausgezeichnet werden wird? Sie müssen sich Ihres Nichtwissens nicht schämen, sollten sich allerdings überlegen, ob Sie sich wirklich noch gut informiert fühlen dürfen, wenn Sie sich ausschließlich auf die sog. Mainstream-Medien stützen.
ICAN ist ein Zusammenschluss aus 468 nichtstaatlichen Partnerorganisationen in 100 Ländern, der im Jahr 2006 auf Initiative der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges Ärzte in sozialer Verantwortung) ins Leben gerufen wurde. Auch in Solingen gibt es eine IPPNW-Gruppe.ICAN steht für Internationale Campagne für die Abschaffung von Nuklearwaffen. Das Bündnis mit Sitz am europäischen UN Standort Genf knüpft an die erfolgreichen Verbotsverfahren gegen Chemie- und Biowaffen sowie gegen Streumunition und Landminen an und hatte zunächst die atomwaffenfreien Staaten als Ansprechpartner im Fokus. Anstelle der sog. Sicherheitsdimension (nukleare Abschreckung = nationale Sicherheit) steht bei ICAN die menschliche Sicherheit im Mittelpunkt und die katastrophalen Auswirkungen der schlimmsten Massenvernichtungswaffen auf Mensch und Umwelt. *) Mit der Zeit gelang es den zivilgesellschaftlichen Akteuren von ICAN, Regierungen in Afrika, Lateinamerika, Südasien, im Südpazifik und auch in Europa (z. B. Norwegen, Österreich und Irland) für einen Vertag zur Ächtung von Atomwaffen zu gewinnen. ICAN war als Koordinatorin der Zivilgesellschaft bei den vorbereitenden Staatenkonferenzen in Norwegen (2013), Mexico und Österreich (2014) wie auch bei den abschließenden Vertragsverhandlungen im März und im Juli 2017 am UN Sitz in New York präsent.
Als der Vertrag zur Ächtung aller Atomwaffen auf der Erde am 6. Juli 2017 von 122 Staaten, also einer großen Mehrheit aller in den UN vertretenen Länder, unterzeichnet wurde, hatten die Medien in Deutschland nur ein Thema: Die gewalttätigen Ausschreit-ungen um den G20 Gipfel in Hamburg, der die Menschheit um keinen Millimeter voran gebracht hat bei der Bewältigung drängender globaler Probleme.
Dass die Bundesrepublik Deutschland wie alle Atomwaffenstaaten und wie die meisten NATO-Staaten, mit Ausnahme Hollands, nicht einmal an den Verhandlungen zum Vertrag teilgenommen hat, ist mehr als nur eine Randnotiz. Der Vertrag mache überhaupt keinen Sinn, wenn die Atomwaffenstaaten nicht mitmachen, hieß es aus Berlin. Außerdem schwäche ein solcher Vertrag den seit 1970 gültigen Atomwaffen-sperrvertrag. Wir erinnern uns: Das ist jener Vertag, der die Atomwaffen besitzenden Staaten zu schrittweiser Abrüstung verpflichtet und jene Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, sollen auch in Zukunft keine herstellen oder erwerben. Jeder leidlich informierte Zeitgenosse weiß, wie es mit der Umsetzung dieses Vertrags aussieht: Nach positiven Schritten in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Rüstungsspirale wieder in Gang gesetzt. Mit astronomischen Summen steigen die Ausgaben der Staaten für Rüstung, während weltweit die Zahl hungernder und vor Hunger, Krieg und Elend fliehender Menschen wieder zunimmt.
Mit gegenwärtig zehn aktiven Ärztinnen und Ärzten versucht unsere Solinger IPPNW Gruppe seit mehr als 30 Jahren über die katastrophalen Auswirkungen von Atomwaffen und ziviler Kernkraftnutzung aufzuklären. Im Juni diesen Jahres haben wir an der 20-wö-chigen Aktionspräsenz in Büchel in der Eifel teilgenommen, wo 20 amerikanische Atombomben lagern, die im Kriegsfall von deutschen Piloten in ihr Ziel geflogen werden sollen als ein Element der sog. nuklearen Teilhabe der Bundeswehr im Rahmen der NATO. Der Deutsche Bundestag hatte im Jahr 2010 mehrheitlich den Abzug dieser Waffen aus Deutschland gefordert. Nun sollen sie bis 2020 modernisiert werden obwohl die Mehrheit der Deutschen in Meinungsumfragen bis heute den Abzug dieser Waffen fordert.
Die soziale Verantwortung, der wir uns als Ärztinnen und Ärzte stellen, bezieht sich in besonderer Weise auch auf die Aufarbeitung der Geschichte, hier speziell der Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus. Hierzu bereiten wir in Zusammenarbeit mit dem Städtischen Klinikum Solingen eine Ausstellung zum Berufsverbot für jüdische und jüdisch-stämmige Ärztinnen und Ärzte im Jahr 1938 vor. Die Ausstellung wird ab 10. November 2017 für vier Wochen im Städt-ischen Klinikum zu sehen sein. Am Tag der Ausstellungseröffnung wird ein weiteres, langgehegtes Projekt unserer Gruppe umgesetzt: Im Rahmen einer Feierstunde im Klinikum wird am 10. November 2017, 79 Jahre nach der Reichspogromnacht, eine Gedenktafel für Professor Dr. Eduard Schott enthüllt. Dieser war von 19271933 Chefarzt der Me-dizinischen Abteilung und ärztlicher Leiter der Städtischen Krankenanstalten Solingen, bevor er wegen seiner jüdischen Abstamm-ung von seinem Posten entfernt und schließlich in die Emigration getrieben wurde.
*) Zitat: www.icanw.de
Dr. med. Heinz Voigt
IPPNW Solingen