SCHWUPS and friends meet
Die Reise in den hohen Norden….
Auf der Suche nach einer alternativen Lebensform jenseits von Individualismus, Arbeitswahn und Patriachat und der allgemeinen Perspektiv-losigkeit des gegenwärtigen Kapitalismus entschlossen sich Ende Januar Mitglieder von „SCHWUPS“ (Wuppertaler BUKO-Gruppe Weltwirtschaft und Politisierung der Subsistenz) und Leute aus dem befreundeten Umfeld zu einem Besuch der Burg Lutter.
Die Kommune Lutter, das sind derzeit 10 Erwachsene (4 Frauen und 6 Männer) und 4 Kinder, die in einer mittelalterlichen Burganlage aus dem 12. Jhd. versuchen, herrschaftsfrei miteinander zu leben und zu arbeiten.
Das Projekt ist 1981 aus der Initiative einer Braunschweiger Uni-Gruppe entstanden.
Mittlerweile ist der Kaufpreis von 400.000 DM abbezahlt, so daß die Kommune heute relativ schuldenfrei ist. Die Burganlage soll ein Ort sein für Experimente bzw. für die Entfaltung einer alternativen Lebensweise, die soweit wie möglich ohne hierarchische Strukturen, Unterdrückung und Ausbeutung auskommt. Bedingung für die Möglichkeit, alternative Formen des Zusammenlebens auszuprobieren, ist für die Kommunnardlnnen u.a. die Veränderung der sozialisierten Verhaltensweisen, die Entwicklung von gruppendynamischen Konfliktlösungsmodellen, die Abschaffung des persönlichen Eigentums und ein anderes Ökologiebewußtsein.
Die Lutter-Gruppe finanziert sich u.a. mit einer Architekturwerkstatt und einer Tischlerei, wo ausgewählte Aufträge von außen erledigt werden, und dem Seminar- und Ferienhaus, in dem für 38 Leute Platz ist. Auf Staatsknete wird auch wegen der damit verbundenen Abhängigkeiten konsequent verzichtet. Zur Selbstversorgung gibt es Gärten, einige Tiere und eine eigene Backstube
Jede Art von Arbeit in der Kommune ist gleichwertig und gleichbedeutend. Es gibt viele Möglichkeiten, sich ohne Vorkenntnisse in verschiedenen praktischen Bereichen auszuprobieren, d.h. man/frau kann sich täglich aufs Neue für eines der diversen handwerklichen Tätigkeitsfelder entscheiden.Wenn dringende Arbeiten längere Zeit unerledigt bleiben, werden sie zur Gemeinschaftsaktion erklärt, an der sich dann alle Kommunardlnnen beteiligen.
Einmal wöchentlich ist Plenum, hier wird der Alltag koordiniert, Beziehungsprobleme werden diskutiert und persönliche Anliegen eingebracht.
Das derzeit vordringliche Thema ist die Frage, warum sich nicht mehr Frauen dazu entscheiden können, nach Lutter zu kommen, zumal ein separates FrauerVLesbenhaus gebaut worden ist, so daß für Frauen die gewünschte Distanz zu den Männern der Kommune möglich ist.
So haben die Kommunardlnnen einen rigorosen „Männerstop“ verhängt, d.h. für den Neueinstiegsind erstmal ausschließlich Frauen willkommen. Der Männerstop ist in der Kommune ein umstrittenes Thema. Auch die hochmotivierten männlichen Mitreisenden aus unserer Gruppe fanden diese Regelung ziemlich schade.
Schließlich haben wir uns gefragt, was eigentlich dahinter steckt, daß Frauen ein solches Leben für sich ablehnen.
Uns hat vor allem interessiert, inwiefern Arbeitsteilung mit anderen Kommunen stattfindet und ob es konkrete Kontakte auch zu städtischen Projekten gibt Außerdem wollten wir über ihre Vorstellungen von Herrschaftsfreiheit und dem Verständnis von Dissidenz wissen, das den Kommuneaktivitäten zugrundeliegt.
Die Arbeit auf der Burg basiert nach Möglichkeit auf Tausch mit anderen Projekten, außerdem dienen die Überbleibsel unserer Wegwerfgesellschaft der Kommune zum Teil als Baumaterial.
Mit einem Projekt in Hamburg werden Bücher gegen Kleidung getauscht, das Getreide kommt auch aus einem anderen Projekt und für die Kommune „Feuerland“ hat die Luttergruppe Fenster gebaut.
Herrschaftsfreiheit bedeutet für die Kommunardlnnen zunächst mal Selbstbestimmung bzw. die Möglichkeit, über das eigene Leben frei zu entscheiden.
Öffentlichkeitsarbeit ist der Kommune sehr wichtig, es gibt das ganze Jahr über viele interessierte Besucherinnen auf der Burg. Einmal im Jahr kommen dort gleichgesinnte Kommunardlnnen aus ganz Deutschland zu einem Treffen zusammen, außerdem findet jährlich eine Kommuneinfotour durch einige Großstädte statt
Was wir für uns herausfinden wollten…
Wir wollten für uns der Frage näher kommen, ob es ein städtisches Pendant zu einer Landkommune wie Lutter geben kann und wie eine über die Form der Wohngemeinschaft hinausgehende kollektive Lebensform in der Stadt aussehen könnte.
Auf der Suche nach Anregungen für ein eigenes Stadtprojekt, wollten wir herausfinden, was von dieser alternativen Lebensform verallgemeinerbar bzw. auf städtische Verhältnisse übertragbar ist und unseren Wünschen entsprechen würde. Außerdem haben wir uns auch gefragt, wo wir Schwierigkeiten des Kollektivs sehen: was würden wir anders machen, inwiefern unterscheidet sich unsere Vorstellung von gelebter Systemopposition von der Praxis in linken Projekten?
Wenn wir neben unserer Systemkritik auch unsere Lebensläufe ernst nehmen, heißt das zunächst mal, daß die meisten von uns kaum handwerkliche bzw. landwirtschaftliche Fähigkeiten und Ambitionen haben, die aber dort wie auch in vielen anderen Projekten im Vordergrund stehen.
Für Leute aus der Stadt wäre es wahrscheinlich erst einmal abwegig, wenn sie – womöglich noch ausgestattet mit der in der linken Projektszene vielbelächellen, theoretisch-akademischen Vorbildung – sich plötzlich der sogenannten eigentlichen „Praxis“, sprich dem handfesten Handwerk oder der bäuerlichen Subsistenzwirtschaft zuwenden würden.
Außerdem scheint es in bezug auf Arbeit eine in der linken Projektszene vielverbreitete Romanti-sierung zu geben, die irgendetwas substantiell Unentfremdetes hauptsächlich bäuerlichen und handwerklichen Arbeiten zuschreibt, damit ein-
her geht die Abwertung anderer Interessen und Fähigkeiten.
Was wir schade fanden…
Der Alltag besteht viele Jahre nach der Gründung immer noch aus überdurchschnittlich viel Arbeit, deren Ende kaum abzusehen ist. Dieser tägliche Kampf ums Überleben – alle Energie muß dafür eingesetzt werden, das die Gemäuer weiterhin stehen und etwas zu essen auf den Tisch kommt – scheint kaum Zeit für was anderes zu lassen.
Wir fragten uns inwieweit das Recht auf Faulheit oder die Beschäftigung mit theoretischen Dingen als gleichberechtigte Betätigungsfelder in solch einem Projekt möglich ist.
In der Tat wird in vielen Projekten mit antikapitalistischem Anspruch der kapitalistische Arbeitsethos weitergepflegt, körperliche Arbeit steht im Mittelpunkt des Lebens, wenn das auch viel mit materiellen Nöten und Sachzwängen zu tun hat, die mit einer gegen die gesellschaftliche Norm gerichteten Lebensweise verbunden sind. Im Bezug auf die gesellschaftsperspektivische Relevanz scheint dies ein Dilemma von alternativen, systemoppositonellen Projekten wie Lutter zu sein.
Wir haben uns dann auch gefragt, was eigentlich das „Andere“ bzw. das Mehr an Freiheit einer solchen systemoppositionellen Lebensform ausmacht, wenn – genau wie im Kapitalismus auch – der Alltag von zuviel Arbeit und relativer Be-ziehungslosigkeit geprägt ist.
Es liegt an uns, kreativ zu sein und etwas Eigenes entsprechend unserer städtischen Biographie aufzubauen, denn das Bestehende kritisieren kann schließlich jede/r.
Was wir toll fanden…
Die Reise und das Projekt überhaupt: die Offenheit der Leute, deren Umgang miteinander, die anarchistische Grundhaltung, die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung, die perönliche Auswahl der Arbeitsfelder, das Konsensprinzip, die Power die rüberkam und deren Wirkung auf uns, wie wir empfangen worden sind, die endlose Geduld der Kommunardlnnen in bezug auf die wahrscheinlich immer gleichen neugierigen Fragen der Besucherinnen.u.v.m….
In der Tat: der Ausflug hat uns ziemlich inspiriert und dazu motiviert an unseren eigenen Hoffnungen und Ideen in dieser Richtung dranzubleiben.
Was tun?
Es tut not, der sich ausbreitenden Individualisierung und Verelendung in den Städten etwas entgegenzusetzen, die psycho-soziale Verwahrlosung ist kein Randphänomen mehr, sie ist verborgenes „Allgemeingut“ hinter den Türen der vielen Singlehaushalte und familialen Gewaltverhältnisse.
In der Stadt über Lebensraum zu verfügen, würde heißen, Raum und Zeit zu schaffen für eine offene kollektive Lebensform, in der etwas ganz
anderes sichtbar gelebt werden kann als die allgemeine Verwirrung und Kälte der sozialen Bezüge.
Weil die Menschen überhaupt nicht mehr wissen, wie man/frau sich zueinander in Beziehung setzt und sie es verlernt haben, miteinander umzugehen bzw. in Kontakt zu treten, wäre es schön, Strukturen zu haben, in denen verbindliche Beziehungen wachsen können, die echte Begegnungen und emotionale Nähe befördern. Dies läßt sich selbstverständlich nicht allein an äußeren Bedingungen festmachen, sondern ist ein Vorgang der Heilung von psychischem Schaden, den man/frau in unserem kapitalistischen System nimmt, und der Wiedergewinnung unserer psychischen und physischen Integrität.
In bezug auf die Frage der materiellen Sicherung der Lebensgrundlage ist Kreativität gefragt, zumal wir immer weniger auf die offiziellen Systeme der sozialen Sicherung setzen wollen und können und es zumindest langfristig überlebensnotwendig wird, sich von den Abhängigkeiten des kapitalistischen Systems zu befreien. Unsere Vorstellungen sind da noch sehr vage bzw. knüpfen an das an, was sich in der Szene schon lange bewährt: Stichworte dazu sind: Food coops, Kinderläden, Tauschbörsen etc. Jedenfalls hat der Trip nach Lutter uns klar vor Augen geführt, daß es sich lohnt, die Hoffnung auf ein lebenswerteres Dasein nicht aufzugeben und weiter mit Energie nach einer alternativen Lebensform jenseits des Systems zu suchen.
Kontakt: Monika Schäfer Tel. 0202/402694