oder warum alle Nicaraguanerlnnen Präsidentin werden wollen
Am 20. Oktober 1996 soll in Nicaragua gewählt werden.
Bis zum 15.03 .96 hatten sich bereits 35 Parteien beim obersten Wahlrat eingeschrieben, und dies ist wohlgemerkt nur eine vorläufige Zahl, denn 7 weitere befinden sich noch in der Konsolidierungsphase, so kann davon ausgegangen werden, daß letztendlich 42 Parteien zur Wahl antreten werden. Die meisten dieser Parteien haben im Alleingang kaum Aussicht auf Erfolg, so daß Bündnisse gesucht und gefunden werden müssen. Diese unmögliche Vielzahl von Parteien wurde in den letzten Wochen häufig kommentiert so u.a. in „La Prensa“, die schreibt: „Der Volksmund sagt: Alle Nicaraguaner wollen Präsident werden“aber wahrscheinlich sagt man besser: „Alle Nicaraguaner streben nach einem politischen Posten“. Politischer Posten meint auch soziale Absicherung durch ein relativ -gemessen an den sonstigen Einkunftsmöglichkeiten – gutes CehalL Angesichts der wirtschaftlichen Lage im Land ein nachvollziehbarer Wunsch!
Zu den aussichtsreichsten Kanidatlnnen auf das Präsidentinnenamt gehören Arnoldo Aleman und die Partido Liberal de Constitutionalista (PLC ) und die F5LN (Frente Sandinista de Liberation National)
Die PLC
Arnoldo Aleman, ehemaliger Bürgermeister von Managua mit somozistischer Orientierung, arbeitete langfristig an seiner Strategie für diese Wahlen. Über seinen 1990 angetretenen Bürgermeisterposten schuf er sich zunächst eine Hausmacht, einen Staat im Staate. Die Arbeitsplätze städtischer Angestellter und Arbeiterinnen wurden an den Eintritt in seine Partei, die PLC gebunden!
Aleman war während seiner Amtsperiode als Bürgermeister in eine Vielzahl von Korruptionsskandalen verstrickt. Aber auch das schadet seinem Ruf nicht. Ein Taxifahrer brachte das Image Alemans auf den Punkt indem er sagte: „Klar wissen wir, daß er korrupt ist, aber das sind sie alle! Aleman tut wenigstens was. Sein Image als „Mann der Tat“ bezieht er aus öffentlichkeitswirksamen Aktionen, wie die Anlage von zentralen Plätzen. Aleman ist der politische Arm der ehemaligen Großgrundbesitzerinnenclique die nach der Revolution enteignet wurden und sich ins Ausland absetzten. Von diesen im Ausland lebenden Nicaraguanerlnnen bezieht Aleman auch den Großteil der Spendengelder an seine Partei.
Arnoldo Aleman führt seit Monaten die Wahl-
Umfragen an und gilt als aussichtsreichster Kani-dat auf das Präsidentenamt.
FSLN
Nach der überraschenden Niederlage der FSLN bei den Wahlen 1990 geriet die ehemalige Guerillabewegung die 1979 als führende Kraft am Sturz der Somoza Diktatur beteiligt war, in eine schwere innerparteiliche Krise, die 1995 mit der Abspaltung einer sozialdemokratisch orientierten Gruppe um Sergio Ramirez endete! Der FSLN gelang es bis heute nicht einen Prozeß der innerparteilichen Demokratisierung glaubhaft voranzutreiben.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist sicherlich der am 18. Februar durchgeführte Consulta Populär, eine Volksbefragung zur Bestimmung der FSLN Kandidatinnen-für die Wahlen. Ziel der FSLN war es, 500 000 Menschen zur Wahl zu mobilisieren. Dieses Ziel wurde nicht ganz erreicht. Etwas mehr als 400 000 schritten letztendlich zur Wahl, wobei diese Anzahl, die der eingeschriebenen FSLN-Mitglieder um 15% übersteigt. Die Consulta konnte sicherlich nicht in kürzester Zeit zu einer Demokratiseirung der FSLN führen. Aber diese Consulta, die in dieser Form ein Novum in ganz Zentralamerika darstellt, kann als Ansatz der Beeinflussung der politischen Kultur gesehen werden, die die Tendenz stärkerer Beteiligung der Bürgerinnen an politischen Entscheidungen festschreibt. Da Daniel Ortega bei der Consulta Populär bei weitem das beste Ergebnis erzielte, ist davon auszugehen das er als Präsidentschaftskanidat aufgestellt werden wird.
Zur Situation im Land
Nach dem Regierungswechsel 1990 knüpfte der IWF strikte Bedingungen an die Vergabe von neuen Krediten an die neoliberale Regierung unter Präsidentin Violetta Chamorro. Einige der wichtigsten Punkte waren die Wiedereinführung von Schulgeld an staatlichen Schulen und die Einführung eines kostenpflichtigen Gesundheitsversorgungssystems. Außerdem wurde von der neuen Regierung eine großangelegte Reprivatisierungspolitik von staatlichen und kollektivierten Betriebe eingeleitet. Schnell wurde klar, daß die Hauptauseinendersetzung in der Eigentumsfrage im Kampf um Land bestand. Land ist nicht nur für ein Großteil der Bevölkerung die unmittelbare Ernährungsgrundlage (bei einer Arbeitslosenquote von bis zu 80% in einigen Landstrichen und 60% auf nationaler Ebene). Auf der Landwirtschaft basiert auch Nicaraguas Exportwirtschaft. Eine weitere Zuspitzung der Situation bewirkte die Rückkehr der alten Großgrundbesitzerinneclique, die mit der Wiedereinrjchtung der alten Besitzverhältnisse rechnete. Die Regierung war angetreten, den Staatssektor komplett an die Bourgoisie zurückzugeben. Durch die von IWF und Weltbank verordneten und von der Regierung rigoros umgesetzten „Strukturanpassungsmaßnahmen“ verloren tausende Nica-raguanerlnnen ihre Lebensgrundlage. Ein Teil von ihnen besetzte Land, um dessen Besitz sie bis heute kämpfen.
Wer die Wahlen am 20. Oktober nun letztendlich gewinnen wird, läßt sich heute wohl noch nicht klären, wenn man bedenkt, daß der FSLN bei den Wahlen 1990 bis zuletzt ein Wahlsieg vorausgesagt wurde, ist den Umfragen wohl nur bedingt Beachtung zu schenken. Fest steht, daß die FSLN sich immer weiter von ihrer Basis entfernt und stattdessen innerparteiliche Macht-und Statusfäden ausficht, Was auf der andere Seite ultrarechten Populisten, wie Arnoldo Ale-man, den Weg ebnet, die Wahl für sich zu entscheiden.
Floyd Schiemil