„Der Munzur soll frei fließen“

Staudammbauten bedrohen den artenreichen Nationalpark im Munzurtal, der ersten Heimat vieler türkeistämmiger SolingerInnen

In Solingen leben ca. 1.000 Menschen, die selbst oder deren Eltern in der osttürkischen Provinz Tunceli aufgewachsen sind. Seit 2006 gibt es den Förderverein Städtefreundschaft Ovacık/Tunceli – Solingen. Der Förderverein arbeitet dafür, die Kontakte zwischen Ovacık/Tunceli und Solingen zu verstärken und eine offizielle Städtefreundschaft einzurichten. Er setzt sich für die Menschen in der osttürkischen Region ein und unterstützt StudentInnen mit Stipendien. Auch viele Mitglieder des Türkischen Volksverein Solingen und Umgebung e.V. und der Alevitischen Kultur Gemeinde Solingen und Umgebung e.V. stammen aus der Provinz Tunceli. Nicht nur die erste Generation hängt noch sehr an der alten Heimat und verbringt dort die Sommermonate. Derzeit ist die Sorge überaus groß, dass die Schönheit dieser Region unwiederbringlich zerstört wird:

Mit einem Ministeriums-Erlass vom 28.11.2016 wurde festgelegt, vier Staudämme und fünf Wasserkraft­werke im ökologisch und spirituell bedeutsamen Munzur-Vadisi-Nationalpark zu bauen. Geschieht dies, versinkt er zum größten Teil in den Fluten. Durch die Staudämme und die dazugehörigen Bauten würde die Umwelt auf ca. 90 km Länge zerstört.

Das Munzurtal soll durch mehrere Staudämme
geflutet werden. Foto: S. Arians

Yusuf Cengiz, der Vorsitzende des Bündnisses zur Rettung des Munzurtals, zugleich Vorsitzender der Handelskammer Tunceli, hat vor kurzem Deutschland besucht. Hier leben ca. 500.000 türkische Aleviten. Cengiz informierte über die Situation und die Proteste vor Ort gegen die geplanten Staudammbauten in Tunceli. Dort kamen 50 Organisationen und Einzelpersonen gegen die geplanten Staudämme zusammen. Sie gründeten ein Bündnis zur Rettung des Munzurtals mit dem Namen „Der Munzur soll frei fließen!“ Beteiligt sind u.a. die Anwalts- und die Wirtschaftskammer, der Bauernverband, Umweltschutzorganisationen, die beiden Parlamentsabgeordneten der Provinz Tunceli, die oppositionellen Parteien im Parlament, die Kommunen in der Provinz Tunceli, deren Dorfvorsteher und Bürgermeister sowie alevitische Vereine. Der Rat will das Thema – über alle politischen Unterschiede hinweg – mit allen Kräften türkeiweit und weltweit publik machen. Es ist zu befürchten, dass der Druck, das Projekt dennoch zu realisieren, fortgesetzt wird.

Das Munzurtal ist der Kernbereich des 1971 eingerichteten Munzur-Vadisi-Nationalparks. Mit 42.000 ha ist er einer der größten und artenreichsten der Türkei. Zugleich ist er die Heimat der wichtigsten, nur in der Türkei vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Der anatolische Leopard, der vom Aussterben bedroht ist, wurde im Munzurtal gesichtet. U.a. gibt es hier Braunbären, Wildkatzen, den eurasischen Luchs, Schakale, Bergziegen, Fischotter, mehrere Adler- und Geierarten. U.a. die rotgefleckte Forelle ist nur hier zu finden. Der Nationalpark beherbergt mindestens 1.518 Pflanzenarten. 227 davon wachsen nur in der Türkei und 43 Arten nur in diesem Nationalpark, wie z. B. der Tunceli-Knoblauch. Es gibt viele seltene Heilpflanzen.

Der Munzur ist einer der Quellflüsse des Euphrat. Der Fluss hat für die Region eine überragende Bedeutung. Hier wohnen in der Mehrzahl Aleviten. Das Alevitentum wurde im Laufe seiner Geschichte immer wieder unterdrückt. Über 15% der Bewohner der Türkei gehören ihm an. Für die Aleviten aus Dersim (traditioneller Name der Provinz Tunceli) besitzt der Munzur neben seiner Funktion für Wasser­versorgung, Fischerei und andere wirtschaftliche Aspekte einen bedeutenden spirituellen Stellenwert. Das Munzurtal wurde aber auch 1937/1938 Schauplatz von Massakern der türkischen Armee an Dersimern.

Der Senat der Universität Tunceli und das Direktorium des Archäologischen- und Ethnographischen Muse­ums in Elazığ wollen das Munzurtal zum UNESCO-Welterbe erklären lassen. Das Tal erfüllt die dafür notwendigen Kriterien und könnte sowohl zum Weltkulturerbe als auch zum Weltnaturerbe erklärt werden.

Der Rat zur Rettung des Munzurtals wird u.a. unterstützt von:

Alevitische Gemeinde Deutschland e.V. / Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu (AABF)
Demokratische Aleviten Föderation / Demokratik Alevi Federasyonu (FEDA)
Dersim Gemeinde Rhein Ruhr e.V.
Dersim Kulturverein Rhein-Main e.V.
Föderation der demokratischen Dersim Gemeinden in Europa / Avrupa Demokratik Dersim Birlikleri Federasyonu (ADEF)
Föderation der Dersim Gemeinden in Europa e.V. / Avrupa Dersim Dernekleri Federasyonu (FDG)
Förderverein Städtefreundschaft Ovacik/Tunceli – Solingen e.V.
Initiative für Freiheit in Dersim (Dersim Özgürlük Insiyatifi) / Dersim Özgürlük İnsiyatifini
Kurmes Der. e.V. / Kurmeşliler Derneğ
Verein für Solidarität mit Kureysan Köyü e.V. / Kureyşan Köyü ile Dayanışma Derneği
Zentralrat der Dersimer – Europa (Kommission für Umweltschutz) / Dersim Meclisi – Avrupa Çevre Komisyonu

Der Rat zur Rettung dees Munzurtals ist dankbar für jede Unterstützung.

Kontakt:

Mehmet Yildiz, Dietmar Gaida
munzurtal@gmx.net
ovaciksolingen@web.de