Verleihung des „Silbernen Schuhs“ an den Solinger Appell

Sehr geehrte Damen und Herren,

– sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, der Du ja eigentlich schon auf Deiner Hochzeitsreise sein solltest,
– lieber Norbert Schmelzer, Sprecher des Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage,
– sehr geehrte Landtagsabgeordnete Jutta Velte und Josef Neumann,
– verehrter Arif Ünal, Vorsitzender des Landesintegrationsausschuss von NRW,
– sehr geehrte Damen und Herren Dezernenten,
– liebe Freundinnen und Freunde,

24 Jahre gibt es jetzt den Solinger Appell, der sich kurz nach dem unsäglichen Brandanschlag heute vor 24 Jahren gegründet hat, damit sich so etwas nicht wiederholen soll.
24 Jahre treffen sich mindestens alle 14 Tage – mal mehr, mal weniger – Menschen in dieser Stadt, um zu besprechen was wir tun können, gegen Rassismus und Krieg.

Wir haben viel erreicht, dies wurde ja auch jetzt gewürdigt:

– Zu den runden Jahrestagen des Brandanschlages haben wir regionale, antifaschistische Demonstrationen organisiert. Zuletzt zum 20ten Jahrestag mit 2.000 vor allem jungen Menschen. Das werden wir auch im nächsten Jahr zum 25ten Jahrestag wieder tun.
– Die Aktion Stolpersteine ist aus dem Arbeitskreis Stolpersteine des Appells hervorgegangen. Nach der nächsten Verlegung am 2. August wird es 117 solche kleinen Denkmäler für die Opfer des Nazi-Faschismus in dieser Stadt geben.
– Die Erinnerung an die Deportation von 62 zumeist Solinger Sinti am 3. März 1943 nach Auschwitz spielte mehr als 60 Jahre keine Rolle in dieser Stadt.
Der Appell hat im Rahmen der Stolperstein-Aktion dafür gesorgt, dass auf der Korkenziehertrasse hierfür ein Denkmal errichtet wurde und dass seit 2014 alljährlich, zum Jahrestag dieser Vernichtung fast der ganzen Sinti-Bevölkerung in Solingen, ein würdiges Gedenken stattfindet.
– Im Übrigen: Auch die Initiative zur Umbenennung des Hindenburgplatzes in Wald ging ursprünglich vom Solinger Appell aus.

Diese Beispiele unserer Arbeit zeigen, dass wir bezüglich einer antirassistischen, antifaschistischen und antimilitaristischen Erinnerungskultur einen relativ erfolgreichen Beitrag geleistet haben.
Wir freuen uns auch darüber, dass uns die derzeitige Verwaltung und der Oberbürgermeister hierbei unterstützen. Das war nicht immer so.

Trotzdem müssen wir feststellen, dass dies lange nicht reicht. Von unserem Ziel, einer Welt frei von Rassismus, Krieg und Gewalt, sind wir noch sehr, sehr weit entfernt.
Und gerade in jüngster Zeit erleben wir, dass wir mit dem stärker werdenden Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Nationalismus und Militarismus diesem Ziel nicht näher kommen, sondern uns weiter davon entfernen, auch wenn wir positiv zur Kenntnis nehmen, dass die Stadt Solingen sich im Vergleich zu anderen Städten sehr bemüht hat, Lehren aus dem Brandanschlag zu ziehen und auch aktuell, bezüglich der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, eine Menge geleistet hat und weiter leistet.
Wir erkennen dabei aber auch, dass die Möglichkeiten einer Kommune, grundsätzlich Probleme, wie zum Beispiel die der Folgen einer an den Interessen des Kapitals orientierten Globalisierung, zu lösen, äußerst begrenzt sind.

Zurück zur Frage was wir erreicht haben:

Das Bundesinnenministerium, weit davon entfernt der Linkslastigkeit verdächtig zu sein, stellte auf Anfrage der Linken fest, dass in diesem Land, im vergangenem Jahr 3533 An- und Übergriffe auf Geflüchtete und Asylunterkünfte stattfanden.
Das waren fast 10 pro Tag. 155 davon waren mit Sprengstoff, Brandstiftung usw., also mit versuchtem Mord, verbunden. Es ist reine Glückssache, dass es hierbei angeblich noch keine Toten gab. Aber die Quantität der Gewalt ist größer als vor 1993.
Zur Veranschaulichung hier die sieben Meter lange Liste der flüchtlingsfeindlichen Anschläge nur der letzten 5-6 Monate.

„Bis heute engagieren sich seine Mitglieder dafür, die Verbrechen der Vergangenheit in Erinnerung
zu rufen und so vor Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit zu warnen.“ Aus der
Pressemitteilung der Stadt zur Verleihung des Silbernen Schuhs. Foto: H. Mähner

Als bekannt wurde, dass der Appell den Silbernen Schuh bekommt, gab es Stimmen, dass der kritische und unbequeme Appell jetzt auch gezähmt und eingefangen würde.
Um dem vorzubeugen werde ich im Folgenden einige Feststellungen treffen, die sicherlich nicht jedem gefallen werden. Der Appell wäre nicht mehr der Appell, wenn er nicht Tacheles reden würde:

Die allgemeinpolitischen Forderungen des Appells von 1993 waren:

– gleiche soziale und demokratischen Rechte für Migranten und Migrantinnen
– Wahlrecht für alle
– Verteidigung des Asylrechtes
– konsequente Bekämpfung aller rassistischen und faschistischen Organisationen
Sie sind 24 Jahre danach immer noch nicht erfüllt und heute aktueller denn je.
Sie sind nicht nur noch nicht verwirklicht, es droht, wenn wir an die Diskussion um die Rücknahme der Doppelten Staatsbürgerschaft denken, sogar der Rückschritt.

Die Roma stellen auch in unserer Stadt mit weitem Abstand die größte Gruppe der sogenannten freiwillig Ausgereisten und Abgeschobenen dar. Deshalb fordert der Appell auch für die Roma, ähnlich wie bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der ehemaligen Sowjetunion, eine Aufnahmequote festzulegen.

Als der Solinger Appell das Versagen des sogenannten Verfassungsschutzes, schon weit vor den Morden des NSU und beim Wehrhahn Attentat in Düsseldorf thematisierte, standen wir ziemlich allein damit. Bis heute ist die Rolle des Verfassungsschutzes beim Solinger Brandanschlag nicht geklärt. Unsere Initiative dies im Rahmen des NRW-Untersuchungsausschuss NSU mit aufzugreifen, wurde von keiner Landtagsfraktion aufgegriffen.

Aber auch viele unserer kommunalpolitischen Forderungen sind bis heute nicht erfüllt.
So ist es zum Beispiel unverständlich, warum es in Bonn, Frankfurt und anderen Städten der Bundesrepublik Straßen und Plätze gibt, die nach den Opfern der Familie Genç benannt sind, aber ausgerechnet in Solingen nicht.
Wir wissen, dass sich viele diesbezüglich vor der Auseinandersetzung (wie bei der Umbenennung des Hindenburgplatzes) scheuen. Aber gerade wer sich vor dieser klärenden Auseinandersetzung mit ewig-gestrigen und antihumanistischen Einstellungen drückt, der wird hier nichts nachhaltig und grundlegend verändern.

Für uns wird es auch zunehmend schwieriger, gemeinsam mit Menschen um die Opfer des Solinger Brandanschlages zu trauern, welche den Brandanschlag von Sivas beschönigen bzw. rechtfertigen, wo kurz nach dem Solinger Brandanschlag, am 02. Juli 1993, bei einem alevitischen Kulturfestival in der zentralanatolischen Stadt Sivas 37 Menschen von einem aufgehetzten Mob umgebracht wurden. Menschenrechte sollten überall gleich gelten und verteidigt werden, in Solingen und in Sivas.
Wenn wir wirklich nachhaltig Rassismus, Nationalismus und Extremismus bekämpfen wollen, dann müssen wir auch hier eine klärende Auseinandersetzung führen.

Zum Schluss: Der Solinger Appell nennt sich Forum gegen Krieg und Rassismus. Beim zweiten Irak-Krieg haben wir gemeinsam mit anderen protestiert und zum Beispiel an der Besetzung der Rhein-Main-Airbase in Frankfurt teilgenommen.

In Solingen haben wir gemeinsam vor allem mit unseren Freunden vom Türkischen Volksverein zwei Demonstrationen und mehrer Veranstaltung gegen den menschenfeindlichen Terror des sogenannten Islamischen Staates organisiert. Dass der Appell seit 24 Jahren eng mit den türkischen und kurdischen Freunden vom Volksverein zusammenarbeitet, ist unserer Auffassung nach auch bemerkenswert. Ich glaube wir sind die zivilgesellschaftliche, politische Gruppe in Solingen wo diese Zusammenarbeit von Migranten und Bio-Deutschen seit langer Zeit beispielhaft praktiziert wird.

Vielen Dank noch an unsere langjährigen, engeren Kooperationspartner, die VVN-Bund der Antifaschisten, SOS Rassismus, bleiberecht.com und Bunt statt Braun.

Unsere nächste Kampagne zielt auf die Errichtung eines Erinnerungsortes an die 1943 ermordeten Solinger Sinti in der Solinger Innenstadt. Wir wollen dazu zu einem Wettbewerb aufrufen.

Nie wieder Brandanschlag
Nie wieder Krieg
Nie wieder Faschismus

Frank Knoche