Solingen 2000 – Mühlenplatz exklusiv

CleMens-Galerien das ist ”Lebensqualität, die bindet”. ja, man möchte meinen, sie fesselt geradezu den Solinger Bürger rund um die Uhr an diesen ”neuen Treffpunkt” in der City.

Das Arbeitsleben in der Stadt scheint lahmgelegt, die Menschen verbringen ihre Zeit nur noch in dem ”Stadtviertel mit den attraktiven Galerien zum Bummeln, mit den interessanten Passagen zum Entdecken, mit den schönen Plätzen zum Verweilen und dem lebendigen Markt, den niemand missen will.” (1)
Hier wird noch Ewiges Leben in Aussicht gestellt. Denn wenn anderenorts schon alles tot ist, ”geht in den CleMens-Galerien das Leben weiter.” (2)
Gegenüber Solingens grauer Vorzeit sind am neuen City-Treff nun endlich einschneidende Veränderungen zu verzeichnen, kultureller Fortschritt bricht sich auch in der Klingenstadt Bahn, spät zwar, doch nicht zu spät: Glitzerwelten sind entstanden, Geschäfte mit exklusiver Mode befriedigen die menschlichen Grundbedürfnisse, exklusive Restaurants befreien die Solingerlnnen von ihrer alltäglichen und erpelschlotmäßigen Essenszubereitungspflicht, und auf dem Wochenmarkt versetzen exotische Früchte zu ebensolchen Preisen die Menschen in tropische Urlaubsphantasien. An den Eingangstoren zu diesem exklusiven Erlebnispark prangen große freundliche Schilder mit der Aufschrift: ”WIR MÜSSEN LEIDER DRAUßEN BLEIBEN! – Kaufkraftarmen Solingern, Obdachlosen und Hunden ist zu ihrer eigenen Sicherheit das Betreten der  Shopping-Mall nicht gestattet. – Gez. Dr. Deubel”
Selbstverständlich bittet der Oberstadtdirektor um Verständnis für diese Maßnahme, droht allerdings bei Zuwiderhandlungen mit einem Platzverweis durch die kundenorientierten Bürgersheriffs und einer zeitweiligen Ingewahrsamnahme im exklusiven ”City-Security-Shop”.
An den Ausgangstoren stehen indes edle HighTech-Video-Bettler eine Weltneuheit made in Solingen, vorgestellt und preisgekrönt anläßlich des letzten Solinger Kunst-Markts. (3) Im Gegensatz zu früher sind die Passanten ihnen gegenüber freundlich und hilfsbereit. Sie wissen durchaus diese einzigartige Einrichtung zu schätzen: Der im Video dargestellte Bettler stinkt nicht, torkelt nicht grölend auf sie zu, macht keinen Dreck, ist nicht aufdringlich, erzeugt kein schlechtes Gewissen, erregt keinen Ekel und kein falsches Mitleid. Erhabenen Hauptes bleibt man bzw. frau einige Sekunden vor der Videosäule stehen, blickt den elektronischen Penner an und wirft ein Almosen in die am Boden liegende Schale. Auch er steht aufrecht vor ihnen und verdient nun in Würde und in warmer, trockener Umgebung seinen Lebensunterhalt. Solingen, die Weltstadt, hat vorbildliche Sozialarbeit geleistet. An den Zufahrtsstraßen vor dem City-Center sitzen zufriedene fremdländische Shop-Owner und heißen die City-Bummler mit einem freundlichen Lächeln willkommen.
Sie werden vom „Amt für Weltkultur und Tourismus” unterstützt und müssen nun nicht mehr 20 Stunden am Tag in ihren in der Stadt verteilten ehemals niveaulosen ”Gemüseläden” herumstehen. (4) Dank der Arbeit des Amtes für Wirtschaftsförderung sind sie endlich zu vollwertigen Mitbürgern unserer Freizeitgesellschaft aufgestiegen.
Auch Tanja und Fred aus dem Museumsviertel Gräfrath werden bei ihrem ersten Besuch der CleMensGalerien von diesen ausländischen Mitmenschen warmherzig empfangen (seit Beendigung der Schulzeit vor etwa 10 Jahren haben beide in ihrer Freizeit die Innenstadt Solingens nicht mehr betreten)” „Wow, Fred, Solingen, echt geil!? Dat soll mal der Mühlenplatz gewesen sein? Weißt Du noch, wie’s hier immer gestunken hat, alles war voll gekackt und bepißt, Straßenlärm ringsherum… und nun – dieser Duft einer Großstadt, all clean man, ein Superfeeling, macht einen so richtig an… -eh, komm, laß uns nach Düsseldorf düsen. Jetzt hab ich so richtig Bock drauf mit unserem Schlitten über die Kö zu rauschen, ein paar Sushis zu tanken und dann bei Tequila und Altbier eine Runde durch die Altstadt zu drehen. Halt, ich brauch nur noch’n paar Tempos, schnell in Drogeriemarkt und dann nichts wie ab auf’n Kiez.”
Tanja und Fred besteigen ihren roten Alfa Romeo in der Tiefgarage der CleMensGalerien und Frau Bimberg-Geckenhausen, die freundliche Drogistin aus der Top-Exklusiv(5)-Parfumerie gleichen Namens hat einmal mehr das Geschäft des Abends gemacht, während Herr Schniedermann von ”Schniedermann’s Super-Spezialitäten-Restaurant” heuer das Nachsehen hat – aber so ist das nun mal im Exklusiv-Business von Solingen 2000. Den Appetit holt man bzw. frau sich im City-Center Solingen, und gegessen wird in Düsseldorf oder Köln oder ganz einfach zu Hause in Gräfrath.

Monika Tönnies

(1) Aus ”Clemens-Galerien/Ansichten – Einsichten -Aussichten”, Werbematerial der Multi Development Corporation‘ Gouda
(2) Ebd.
(3) ”Videobettler” von Anja Vormann; ausgezeichnet mit dem Bergischen Kunstpreis 1995
(4) In Bezug auf eine Vorlage zur Sitzung des Wirtschaftsausschusses am 13. September 95; gemäß dieses Schreibens sollten die ausländischen Unternehmer auf der Konrad-Adenauer-Straße mit in das lnnenstadtkonzept eingebunden werden, um das ”niedrige Niveau” in diesem Stadtbereich zu beseitigen.
(5) exklusiv = nur wenigen zugänglich, von lat. excludere = ausschließen