Was halten Sie von der Aufstockung des Ordnungsdienstes bei der Stadt um 15 Stellen?
Es geht nicht darum, die Aufstockung von Ordnungsamt/Polizei zu verteufeln. Es ist aber ungünstig, die Meldung über die Verbesserung der Kooperation von Polizei und Ordnungsamt zugleich mit einer Absichtserklärung für ein Alkoholverbot zu verbinden.
Zurzeit wird ein Alkoholverbot in bestimmten Bereichen der Innenstadt wie der Kölner Straße, dem Neumarkt und dem Südpark diskutiert.
Beschließt man ein Alkoholverbot, dann muss man es auch durchsetzen. Sonst verliert man Glaubwürdigkeit, dies gilt gerade für Jugendliche. Ein Alkoholverbot würde enorm viel Personal binden. Es findet eine Vertreibung statt in andere Stadtteile, in weniger zentrale Bereiche, in denen gerade nicht der polizeiliche Schwerpunkt liegt. Wenn in der Öffentlichkeit konsumiert wird, können wir die Leute noch sehen. Wenn Alkoholvergiftungen eher versteckt passieren, sind sie noch gefährlicher.
Wie soll man damit umgehen, wenn Alkoholtrinken auf der Straße gekauft im Discounter oder im Kiosk illegal ist, während es auf derselben Straße legal im Biergarten oder beim Statteilfest getrunken werden darf?
Das ist eine deutliche Situation von Doppelmoral. Außerdem ist ja schwierig zu unterscheiden, ob ein Vollrausch, mit all seinen ekligen Begleiterscheinungen erlaubt im Biergarten oder illegal am Kiosk erworben wurde. Wer soll das unterscheiden? Wieviel Personal brauchen wir dafür?
Bringen Verbote von Drogen viel?
Das kann man bei den illegalen Drogen sehen. Haschisch und Heroin sind verboten. Allgemein ist anerkannt, dass die Verbote nicht die gewünschte Wirkung haben. Jetzt soll der Alkohol zur illegalen Droge in Teilen des Solinger Stadtgebietes werden. Um die Ecke herum wird versteckt getrunken, die Betroffenen werden an andere Orte gehen.
Wie schätzen Sie diese Debatte ein?
Zum dritten oder vierten Mal wird ein solches Verbot diskutiert. Das ist keine Lösung. Für eine nachhaltige und effektive Drogenpolitik sollte man nicht nur reine Ordnungs- und Verbotsmaßnahmen setzen, sondern auch auf sozialarbeiterische Intervention. Ich betone das auch. Das war erprobte Praxis in Solingen-Ohligs.
Welche Arbeit machen Sie in Ohligs?
Auch in Ohligs gab es im öffentlichen Raum Ärger um Alkohol, Drogen, weggeworfene Spritzbestecke, Pöbeleien und Aggressionen. Prompt kam der Ruf: Die Straßensatzung muss verschärft werden! Der Sozialdezernent und wir waren uns einig: Es muss etwas getan werden, aber eben nicht einfach durch die Ausweitung von Verboten.
Es wurden Runde Tische mit allen Beteiligten organisiert: Gewerbetreibende, Polizei, Ordnungsamt, Politik, Verwaltung, Beratungsstellen, Junkies. Wir haben gemeinsam mit den Betroffenen das Thema bearbeitet das war eine völlig neue Qualität. Alle Beteiligten reden miteinander, nicht nur übereinander. Die Abhängigen machten wirklich gute Vorschläge zur Lösung der Probleme. Als Beispiel: auf ihre Anregung hin wurden mehr Mülleimer aufgestellt und das Müllproblem war gelöst, die Eimer wurden dann auch wirklich genutzt.
Wenn man die Betroffenen beteiligt, sie ernst nimmt, sind sie bereit Verantwortung zu übernehmen, auch für ihr eigenes Verhalten in der Öffentlichkeit. Dies gilt für viele Bereiche und für die Interessen Aller, die den öffentlichen Raum nutzen.
Insgesamt war die Rückmeldung der Polizei positiv: Die Anzahl der Einsätze ging zurück. Das Aggressionspotential bei notwendigen Einsätzen wurde deutlich geringer, weniger Beamte waren pro Einsatz notwendig. Es gibt die ½ Sozialarbeiterstelle für diese Arbeit auch heute noch, sie wird zum größten Teil finanziert von der Stadt-Sparkasse. In Ohligs ist die Faxe zweimal die Woche für 3½ Stunden geöffnet. Dazu führen wir zweimal die Woche 1 bis 1½ Stunden Streetwork durch.
Die Situation in Ohligs ist relativ befriedet. Die Zusammenarbeit in Ohligs mit den Runden Tischen u.a. war erfolgreich. Es ist ein Erfolg des Komplettpakets. Das hat Personal gespart, auch bei den Ordnungskräften. Als weiteres Ergebnis gibt es u.a. viel weniger Spritzenfunde in Ohligs. Der Bremsheyplatz ist relativ befriedet, er hat seine Rolle als Angstraum verloren. Es sind mehr Leute im Hilfesystem angekommen.
Wie sieht die Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen stadtweit aus?
Es gibt eine Absprache zwischen der Jugend-und Drogenberatung anonym e. V. zur Kooperation mit dem Ordnungsamt, der Jugendgerichtshilfe, der Polizei und dem Jugendrichter zur Zuweisung auffälliger Jugendlicher. Aber es kommen immer weniger bei uns an.
Es ist nicht sinnvoll, gemeinsame Streifengänge von Sozialarbeitern und Polizei durchzuführen. Aber beide arbeiten am selben ordnungspolitischen Gegenstand, am Menschen, jeder mit seiner je eigenen Qualifikation und Aufgabe. Klare Absprachen untereinander und eine Zusammenarbeit sind sinnvoll.
Es ist gut und hilfreich, wenn auffällige Jugendliche verstärkt zur Jugendberatung geschickt werden. Hier werden sie spezifisch beraten und es wird ihnen geholfen. Es ist sinnvoll, wenn ein Sozialarbeiter/eine Sozialarbeiterin mit einem Vierzehnjährigen, der in den letzten vier Wochen viermal volltrunken war, spricht. Dies ist ein Thema für die Erziehungsberatung und Suchtberatung. Die Sanktionierung von Straftaten ist dagegen Sache der Polizei. Es gibt ein Projekt zur Frühintervention bei erstauffälligen Drogen-und Alkoholkonsumenten (FRED). Dies Projekt setzt auf die Zusammenarbeit mit Justiz und Polizei, aber auch hier kriegen wir die Gruppen aktuell nicht voll.
Hören die Menschen bei einem Alkoholverbot in bestimmten Bereichen auf zu trinken?
Das glaube ich nicht. Ob Drogen verboten sind oder nicht, ändert nichts an der Verbreitung von Drogen. Dies ist keine Privatmeinung, ernsthafte Untersuchungen weltweit belegen dies.
Welche Ansätze halten Sie für sinnvoll für die Innenstadt?
Natürlich sind uniformierte Kräfte notwendig, wahrscheinlich brauchen wir sogar mehr, aber Sozialarbeiter sind ebenfalls wichtig. Unsere Streetworker gehen in die Szene auch mit dem Ziel, verhaltensmoderierend tätig zu sein.
Außerdem fördern wir die Bereitschaft zur Teilhabe der Szene an öffentlichen Planungsprozessen. Für den Mühlenhof hat die Szene sogar eine Art Planungsausschuss gebildet und einen Sprecher gewählt, um gemeinsam mit allen Beteiligten einen Ort so zu gestalten, dass er für alle akzeptabel ist. Leider wurde dieses Projekt trotz allseitiger politischer Unterstützung bisher nicht umgesetzt.
In der Innenstadt gibt es zurzeit ein Angebot von der Jugend- und Drogenberatung anonym in den Räumen der Caritas einmal die Woche freitags für 2½ Stunden. Dazu kommen 1½ Stunden Streetwork pro Woche.
Es wäre gut, wenn die Stadt bewohnbar bleibt, ohne dass an jeder Ecke ein Ordnungshüter notwendig ist. Nichts gegen mehr Polizeipräsenz, die Zusammenarbeit ist wichtig. Die Hoffnung ausschließlich auf ein Alkoholverbot zu setzen ist zu hoch, wahrscheinlich auch viel zu teuer und nach allen Erfahr-ungen wenig nachhaltig. Auf dem, das ordnungspolitisch wirksam ist, muss nicht immer nur Ordnungspolitik draufstehen. Die Debatte ist in der Gefahr, hinter einen Stand zurückgefallen, den wir schon erreicht hatten.
Das Interview führte Dietmar Gaida