„Schlanker Staat“ gegen „Kostenstelle“ Mensch

Alles für den Profit:
Lohnsenkung und Sozialabbau am „Standort Deutschland“

„Niemandem in Deutschland wird es schlechter gehen!“ (Garantieversprechen an alle von Helmut Kohl anläßlich der Wiedervereinigung)

Die Marktwirtschaft ist einfach perfekt! jubelte schon Anfangs des 19. Jahrhunderts Adam Smith in seinem Buch „Der Reichtum der Nationen“. Sogar dem Kommunismus haben wir ganz lok-ker den Zahn gezogen – jubilieren die Macher von heute. Doch kaum (mit-)gejubelt, setzt man in den Etagen der Macht ernste Gesichter auf: Der „Standort Deutschland“ ist in Gefahr, heißt es – der arme Kerl, wenn wir ihm nicht alle ganz fürchterlich helfen, wird er nie wieder gesund. Man beugt sich über den Patienten. Ein kurzer Blick in die Runde, und ohne groß nachzudenken hat man sich schon über die Diagnose geeinigt: Der Standort Deutschland leidet an „Lohnnebenkosten“. Die machen die Arbeitsplätze kaputt.

Die Gemeinschaft der Quacksalber …

Der Bazillus ist entdeckt, frohlocken die TV-Stationen und die Zeitungen, jetzt aber an die Arbeit!
Doch was sind „Lohnnebenkosten“ (häufig auch „Lohnzusatzkosten“ genannt)? Seltsam: Nur in den seltensten Fällen spricht einer offen aus, was das ist! Obwohl … die Sache hört sich erst mal ganz plausibel an.
„Nebenkosten“ hat eigentlich keiner gern, „Zusatzkosten“ erst recht nicht … zudem scheinen die Dinger von vornherein überflüssig. Der Unternehmerverband findet sie ganz scheußlich, der Kohl nicht minder. Der Lafontaine bläst ins gleiche Horn, weiß aber besser, wie er die lästigen Bazillen unschädlich macht; und selbst die Gewerkschaften machen scheinbar lobenswerte Vorschläge, wie man durch Senkung der „Lohnnebenkosten“ den armen „Standort Deutschland“ „retten“ könne. Da können denn auch die Kirchen nicht abseits stehen und üben sich im Zeigen von Demut gegenüber allen möglichen sozialen „Anpassungen“.
Soviel Übereinstimmung kann nur Verwirrung stiften, und das doppelt Grausame an der heutigen Situation ist, die Verwirrung ist gewollt und funktioniert!

… und das Wunder von Bonn: „Lohnnebenkostensenkung“ durch „Diätenerhöhung“

Nun könnten die „Lohnnebenkosten“-Drücker aus der Politik ja womöglich denken, ihre Mer-cededes- und BMW-Karossen abzuschaffen, die ja auch aus „Lohnnebenkosten“ bezahlt und unterhalten werden. Ein Witz?
Die Mehrheit der gewählten Politiker hat einen ganz anderen Scherz auf Lager: 30 oder wieviel Prozent „Diäten“erhöhung wollen sie für sich. Das Wort kommt so unendlich vornehm daher und schüchtert die Leute ein, doch Tatsache ist: Die „Diäten“ der Abgeordneten sind klassische „Lohnnebenkosten“. „Diäten“ sind eben keine Löhne, sondern werden aus den Löhnen anderer als „Nebenkosten“ abgezweigt (vgl. Lohnsteuerkarte). je mehr „Diäten“, umso mehr „Lohnnebenkosten“. Na wenn schon? Parole „Besitzstände abbauen“ und dabei ungeniert in die eigene Tasche wirtschaften.

„Leistung“ und ihr Preis

Anstatt, aber dabei zu verweilen, über Politiker und ihren Egoismus herzuziehen, sollte man aus dem Beispiel etwas Handfestes lernen: Nicht die „Lohnnebenkosten“ als solche sollen sinken, sondern gewisse Sorten davon.
Welche Sorten, das erfährt man ganz einfach, indem man die Rechtfertigung der Politiker betrachtet, warum sie sich aus dem Steueraufkommen mit kräftig steigenden Geldbeträgen selbstbedienen. Ja, heißt es dann, wir gehören zu den besonders „Leistungsfähigen” in dieser Gesellschaft, und „Leistung“ hat eben ihren Preis.
Gut gebrüllt… und mitten in dem schönen Reden von „Solidargemeinschaft“ hat man die Gesellschaft in zwei Klassen geteilt: „Leistungsfähige“ Mitglieder, die sich mit Fug und Recht bereichern, und der schnöde Rest: Der ist schuld an den „Lohnnebenkosten“ und hat verdient, daß von ihm genommen wird, was ihm nicht gebührt …

Dein bester Freund: die „Wirtschaft“

Zu den „leistungsfähigen“ Gesellschaftsmitgliedern zählen per se Unternehmer, Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften und alle anderen Sorten von „Wirtschaftsführern“. Wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, ist das ihre Leistung und nur ihre. Aber egal, ob sie Millionenunternehmen den Bach runtergehen lassen, ob sie Milliarden von Steuergeldern auf Seite schaffen oder ob sie Arbeitsplätze en masse in sogenannte Billiglohnländer exportieren, das kostet sie kein bißchen von der Sympathie und Hochachtung, der sie sich gemeinhin erfreuen. Wenn immer mehr Arbeitsplätze vernichtet werden, liegt das nicht an den Unternehmern, sondern an den Arbeitskräften: Ihr Lohn inklusive „Nebenkosten macht das Geschäft kaputt.
Ach so: Die Profite sind zu niedrig. Warum, „wir“ gehören doch zu den reichsten Nationen der Welt. Ja, aber die Unternehmen können nicht genug investieren, um gegen die erstarkte Konkurrenz in Ostasien und die Billiganbieter in Osteuropa anzukommen. Schade. Und was machen „wir“ jetzt? Natürlich dafür sorgen, daß die wackligen Unternehmen weniger Kosten haben und mehr verdienen können. Wo kann man am besten Kosten sparen? Bei den Arbeitskräften. Die meisten von ihnen sind eh überflüssig. Also raus mit ihnen, neue Maschinen angeschafft, dann wird auch wieder Geld verdient.
Und wo investieren die „Wirtschaftsführer“ dann das sauer Verdiente? Teils, teils, kaum in Deutschland … nein, eher in Osteuropa, Ostasien, Mexiko – überall da, wo die Löhne inklusive aller „Nebenkosten“ noch „bezahlbar“ sind. Und damit, daß Unternehmen in ganz großem Stil hierzulande Arbeitsplätze vernichten, indem sie sie anderswo einrichten, haben sie noch nicht mal ihr Wort gebrochen, denn sie haben ja nie eins gegeben.

Finanzierung der Armut durch die Armut

Mit den außer Landes gebrachten Arbeitsplätzen geht auch das Steueraufkommen verloren, das die Bundesrepublik aus den Arbeitsplätzen bezog, solange diese sich noch in Deutschland befanden. Kein Wunder, daß sich mit dem Arbeitsplatzexport die Meldungen über immer mehr „Löcher“ in den öffentlichen Kassen häufen. Vor gerade zwei Wochen hat sich in Bonn ein weiteres Steuerloch von 70 Milliarden DM aufgetan – wie man dort sagte, sei es nicht vorhersehbar gewesen.
Was ist aber nun mit den galoppierenden „Lohn neben kosten“ in Gestalt des sozialen Elends, das auf die Vernichtung von Arbeitsplätzen folgt? Unschuldig: die Unternehmer. Bestenfalls gibt’s noch einen mickrigen „Sozialplan“, den sie eh nur zum geringeren Teil bezahlen, oder eine „Abfindung“. Aber dann wollen die Unternehmen nicht mehr die Bohne mit den Folgekosten der Arbeitsplatzvernichtung zu tun haben. Widerstand gegen dieses Kalkül, sich aus der sozialen Verantwortung zu stehlen, etwa aus den Reihen der herrschenden Politik? Um Gottes willen.
Komisch, früher hatten viele Leute wohl mehr drauf – in langen Arbeitskämpfen haben die Arbeiter den Unternehmern die lebensnotwendige Erstattung von „Lohnnebenkosten“ abgerungen – unter anderem auch, daß die Arbeitgeber die Hälfte der Arbeitslosenversicherung zu zahlen haben. Korrekt! Nur, Hand aufs Herz: Nehmen wir mal an, das gäb’s noch nicht – wenn das heute einer fordern würde, der würde wohl ausgelacht …

Geräte vorhanden – Arbeitsplätze weg

Doch nicht nur die Arbeitslosen, sondern auch alle anderen Leute, die ohne Einkommen dastehen, brauchen ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen, die Kinder müssen zur Schule gehen, Krankheiten müssen behandelt werden. Da sollen sie sich an den Staat wenden. Und woher soll der Staat das Geld nehmen? Es gibt doch,
wie man sagt, nirgendwo Geld: „Die öffentlichen Kassen sind leer.“ Die Lösung, die Wirtschaft und Regierung anzubieten haben, ist ebenso dumm wie zügellos: Der Staat soll sich das Geld beschaffen, indem er immer mehr Leute in die Armut treibt.

Lohnnebenkostenstelle Nr. 1: „Schlanker“ Staat…

Viel zu viele Leute liegen mir auf der Tasche, sagt der Staat, wie soll ich bloß mit der Massenarbeitslosigkeit fertig werden?
Das ist doch gar nicht mein Bier! Sollen doch die Unternehmer Arbeitsplätze schaffen, und wenn die’s nicht tun, kann ich auch nichts machen.
Ich bin eben aus „Lohnnebenkosten“ gemacht, in der. Hauptsache aus Lohnsteuer, Einkommensteuer und Mehrwertsteuer. Und wenn ich die nun erhöhe, dann erhöhe ich damit die „Lohnnebenkosten“. Nichts da, „schlank“ will ich sein.
Mit dem ganzen sozialen Ballast will ich so wenig wie möglich am Hut haben. Meine eigenen „Mitarbeiter“ haben mir lange genug „Lohnnebenkosten“ verursacht. Post, Bahn, Staatsunternehmen, weg damit. Hunderttausende Arbeitsplätze kurzerhand wegrationalisiert, das soll mir mal einer nachmachen. Und tschüs. Den Rest der Belegschaft übergebe ich an die „Wirtschaft“. Schaut nur, wie schön „schlank“ ich jetzt bin – viele erkennen mich gar nicht wieder!

… voll Polizei …

Wo die Vernichtung von Arbeitsplätzen wie eine von den Rausgeschmissenen zu verantwortende Folge ihrer übertriebenen Ansprüche angesehen wird, gilt auch das soziale Elend, das mit diesem Unfall einhergeht, als selbst versachtes „Schicksal“. Daß aber die gewinnbringende Schlechterstellung und Verarmung großer Teile der Bevölkerung nicht nur friedlichen Verzicht hervorbringt, wissen die Konstrukteure des „schlanken Staates“ schon bei Arbeitsbeginn. Natürlich wird sich vermehrt politischer und gewerkschaftlicher Widerstand regen. Der ist einkalkuliert. Daneben werden Hunderttausende und Millionen nach individuellen Auswegen aus der Verzweiflung suchen: Die Kriminalität wird immer weiter wachsen. Auch die ist einkalkuliert. Gegen alles Böse – egal wo es herkommt – hilft das altbewährte Mittel (man kennt es ja auch aus Diktaturen): Mehr Polizei und noch mehr Polizei! Daß hierdurch die „Lohnnebenkosten“ der arbeitenden Bevölkerung, aus deren Taschen man das Geld für die Polizei nimmt, in die Höhe getrieben werden, ist wurscht – und man braucht es als verantwortlicher Politiker ja auch gar nicht laut zu sagen. Polizei ist immer gut. Da spürt der kleine Bürger, wo die Macht sitzt. Und sowieso ist die Polizei dann am besten, wenn sie verdeckt arbeitet. Funktionstüchtige Vorbilder haben „wir“ Deutschen ja in unserer eigenen Geschichte, da kann man (und, o Graus, man wird!) sich noch manche Scheibe abschneiden. Also, flugs andere Gesetze gemacht, damit Polizei, Bundesgrenzschutz, „Verfassungsschutz“ und „Nachrichtendienste“ in Richtung Bürgerkriegsstärke ausgebaut und auch von niemandem mehr daran gehindert werden können, so richtig schön geheim zu arbeiten.

… und militärischer Macht

Hier wäre Sparen, so hört man, absolut fehl am Platz. Wer Rohstoffquellen kontrollieren, sich andere „Märkte“ nachhaltig „erschließen“ will, Arbeitsplätze und das entsprechende Kapital in alle Welt exportiert, muß ja auch – in Form einer „Großmacht“ – für die die Verteilung der Provisionen allüberall geradestehen können. Die Rechnung zahlt die „Nation“. Deutschtum und „Soldatenehre“ erleben einen Boom. Nützlicher Umstand für die „selbstbewußte“ Durchmilitarisierung Deutschlands: Die Weltkugel ist von Kriegen und Bürgerkriegen derartig übersät, daß die UNO Soldaten braucht, in Somalia, Bosnien und anderswo. Im Glanz von soviel „internationaler Verantwortung“ verblaßt das soziale Elend der Einheimischen: Während die nationale Größe wächst, verlieren sie ihren Arbeitsplatz und vieles mehr.

Lohn„nebenkosten“, die sich auszahlen?

Die Bestrafung der Schuldiggesprochenen – eine Gebrauchsanweisung

Das Gesellschaftsbild der Macher des „schlanken Staates“ und ihres Wahlgefolges ist damit Umrissen: „Leistungsfähige“ Gesellschaftsmitglieder, deren freies Bereicherungsinteresse alle fördern und unterstützen müssen, sind alleiniger Garant für die Rettung des „Standortes Deutschland“. Geschäftsgrundlage muß sein, den anderen Gesellschaftsmitgliedern so viel von ihrem Lebensunterhalt zu entziehen, wie eben geht. Daß die Lohnnebenkostenstellen Polizei und Militär dabei immer mehr Geld aufsaugen, ist denen, die vorgeben, die „Lohnnebenkosten“ senken zu wollen, alles andere als ein Problem. Vehement fordern und begrüßen sie die Aufrüstung nach innen und außen. Diese „Lohnnebenkosten“ sind eben höchst nützlich und heilsam für den „Standort Deutschland“ und damit absolut tabu. Sie dürfen und müssen steigen. Ins Visier nehmen die Macher ganz andere Arten von „Lohnnebenkosten“, solche nämlich, von denen sie erklären, daß sie eine unerträgliche Last auf dem Buckel des „Standortes Deutschland“ sind.
Damit nun mit dem munteren Scheibenschießen auf den für unnütz erklärten Ballast werden kann, muß Grundsatz sein, alle Gesellschaftsmitglieder, soweit sie nicht der Machtelite angehören, gegeneinander auszuspielen. Ihr Futterneid muß angestachelt und gleichzeitig auf noch weiter unten Stehende abgeleitet werden. Ganz besonders gut scheint es dem „Standort Deutschland“ zu tun, wenn die Leute nach allen Regeln der Kunst gegeneinander aufgehetzt werden: Guck mal, der da, das ist doch einer, der von deinem Teller ißt – willst du dir das denn bieten lassen? Wer dieses Spiel am skrupellosesten spielt, wird am Ende das wirksamste aller Mittel in Händen halten, die Menschen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen: Die Herrschaft über ihr Feindbild!

Kriminalisierung unerwünschter „Lohnnebenkosten“: „Wirtschaftsflüchtlinge“ und andere „ Sozial betrüger“

Mit solchen Schimpfworten meinen die Medien natürlich nicht Unternehmer, die im Inland erworbenes Geld ins Ausland bringen, um es nicht versteuern zu müssen oder um es in Gestalt von Billigarbeitsplätzen dort zu investieren. Vielmehr geht es darum, die Sorten „Lohnnebenkosten“, die die Empfängern von Löhnen, Arbeitslosenunterstützung oder Sozialhilfe zum Leben brauchen, als „wirtschaftsschädigend“ zu diskriminieren und in den Leuten so den Gedanken zu verankern, sie alle lägen dem Gemeinwesen auf der Tasche.

Warnungen in den 70er Jahren

Um jedwedem Solidarisierungsbestreben der Bevölkerungsteile, die die Zeche für die „Senkung der Lohnnebenkosten“ zahlen sollen, von vornherein die Spitze zu nehmen, breche man vorab eine öffentliche Kampagne gegen „Sozialbetrüger“ vom Zaun und zeige der erbosten Bevölkerung „Kriminelle“ vor, die sich schamlos aus dem Lohnne benkostentopf bedienen, um sich zu berei ehern.
Daß auf diese Weise Asylbewerber und ausländische Familien als erste Zielscheibe ins Visier gerückt werden, erfreut den Mob. Er spürt den rechten Wind, nun alles „Unbrauchbare“ eigenhändig aus dem Weg zu räumen: Er schlägt auf Zuwanderer, Obdachlose, „Linke“ ein, zündet Häuser an, bringt „Ausländer“ um die Ecke.
In der aufgeheizten Stimmung geger „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Sozialbetrüger“ bemerken aber auch fast alle anderen nicht, daß es den Betreibern der Kampagne von vornherein an einem anderen Ziel gelegen war, das nun erreicht ist: Von nun an hat jeder Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger und auch jeder, der sich dem Abbau von Löhnen und „Nebenkosten“ nicht fügen will, als (möglicher) „Sozialbetrü-ger“, mindestens als Wirtschaftsschädling zu gelten!

„Lohnnebenkostenstelle“ Mensch: Grünes Licht für freie Fahrt ins Bodenlose

Auf solchermaßen gut vorbereitetem Terrain läßt sich der Sozialabbau fast wie ein Kinderspiel an. Feiertage, Arbeitslosengeld, Umschulungsmaßnahmen, Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, Krankenbehandlung. Rehabilitationsmaßnahmen für Behinderte. Wohngeld. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, Lohnfortzahlung. Gelder für Kindergärten, Schulen, Jugendarbeit, Hilfsmaßnahmen für Obdachlose und noch viel mehr, alles steht zur „Kürzung“ bereit, solange die Leute gehorchen.
So einer aber glaubt, daß es den Machern des „schlanken Staats“ vor allem an den „Nebenkosten des Lohns gelegen wäre, so täuscht er sich. Schon macht der nächste Begriff die Runde: „Nullrunden“ in den Tarifverhandlungen. Der öffentliche Dienst unter Kanther will den Vorreiter machen, wenn das erst geschafft ist, können alle anderen nachziehen. Und dann kann es weitergehen mit einer Absenkung des allgemeinen Lohnniveaus in noch unbekannte Tiefen.

”Standort Deutschland“
Am Pranger: Profit Räuber
Neustadt bei Holzkirchen – Lars (19) schmort gefesselt am Fahnenmast eines Autohauses. Neben ihm das Schild seines Geständnisses. Fakt: Obwohl er mit 15 DM in der Stunde einen tollen Stundenlohn bezog, nötigte er seinen Chef, überhöhte Lohnnebenkosten an die öffentlichen Kassen zu entrichten. Gefeuert. Jetzt auf dem Weg nach Rumänien, wo er Arbeit suchen will.

Die Rede von der bitter notwendigen Senkung der „Lohnnebenkosten“ setzt also auf heuchlerische Töne, mit denen man die Leute vielleicht besser bei Stimmung hält, als wenn man ihnen gleich reinen Wein einschenkt: Es geht um die Senkung der Löh-ne inklusive aller „Nebenkosten“, die den Leuten zugutekommen, auch um die Senkung der Renten. Zur gleichen Zeit werden diejenigen, die in Reichtum und Überfluß leben, von derselben Politik, die die Senkung der „Lohn(neben) kosten“ unerbittlich betreibt, in schamloser Weise begünstigt. Von der Bundesregierung beschlossen sind bereits:

a) die Heraufsetzung des Steuerfreibetrages für Haushaltshilfen von bisher 12.000 DM um 100 % auf 24.000 DM (macht jährlich ca. 6.500 DM gratis für die Reichen),

b) der Wegfall(!) der Vermögensteuer (macht jährlich 5.000 DM pro Million Besitz)

c) die Erhöhung der Freibeträge bei der Erbschaftssteuer auf 1.000.000 DM, (eine Steigerung von 300 %(!) bis 1.000 %(!)).

Begleitet wird diese schändliche Bereicherungspolitik durch die dreiste Lüge von Finanzminister Waigel, daß dies deshalb geschehe, um der „schleppenden Konjunktur“ am „Standort Deutschland“ auf diese Weise „neue Impulse“ zu geben. Weiter wird also auf das Rezept gesetzt, den staatlichen Betrug mit nationalen Tönen zu flankieren, um ihn durchzusetzen.
Doch hat sich der nationale Wahn, der innerhalb der Medien mit dem Gedanken „Das Boot ist voll“ begann und auch beim einfachen Volk populär wurde, wo es nur anscheinend um „Ausländer“ ging, als Bumerang herausgestellt. Überflüssiger „Ballast auf dem „Boot“ sind alle Bevölkerungsteile, denen öffentlich vorgeworfen wird, Verursacher zu hoher „Lohn(neben)kosten zu sein. Zuerst die, deren Arbeitsplatz der „Standort Deutschland“ bereits ruiniert hat, aber genauso auch die, denen nur noch Löhne gezahlt werden sollen, mit denen frau/ mann/kind hier nicht mehr (über-)leben kann. Davor beschützt ganz gewiß auch kein deutscher Paß. Ins Visier gerückt ist damit längst die Mehrheit derer, die zur Zeit noch arbeiten „dürfen“. Auf dem Wunschzettel des Kapitals stehen „leistungsgerechte“ Löhne, wie sie heute beispielsweise in Ungarn oder Indonesien üblich sind. Der „schlanke Staat“ beeilt sich, jede nur denkbare Schützenhilfe zu geben, und fühlt sich gewappnet, die damit verbundene soziale Katastrophe durchsetzen. Was hilft, in Deutschland und in anderen Ländern (den Leuten dort geht’s gewiß nicht besser), ist, sich kein A für ein U vormachen zu lassen und konsequent Solidarität zu üben im Kampf für Löhne und Lohnersatzleistungen, mit denen man leben kann. Wer erst aus dem Schlaf erwacht, wenn er selbst betroffen ist, hat schon verloren. (Wird fortgesetzt.)

Otto Mann