„Opfer zu Tätern“ – Rassismus hat System

„Hattingen – Lübeck oder von der Leichtigkeit aus Opfern Täter zu machen“ war der Titel der Veranstaltung, zu der „Die Börse“ in Wuppertal am 28.04.96 eingeladen hatte. Etwa 50 interessierte Menschen waren gekommem um sich über die vielfältigen Ungereimheiten in Folge dieser beiden Brandanschläge zu informieren. Zu Cast waren Rechtsanwalt Heiermann, Verteidiger von Frau Üngver aus Hattingen und zwei Mitglieder des „Antirassistischen Telefons Hamburg“.
Lübeck…
Das „Antirassistische Telefon Hamburg“ hatte sich unmittelbar nach dem Brandanschlag in Lübeck gegründet und steht seit Ende Januar im engen Kontakt zu den Überlebenden des Hauses in der Hafenstraße und der Familie des Angeklagten Safwan Eid. Ihr Ziel war es, die Nachrichtensperre zu durchbrechen und über die Situation in der Brandnacht zu informieren.

Zunächst berichteten sie über die unzulänglichen Ermittlungsmethoden, die offensichtlich nicht zu dem Ziel führen sollten die wahren Täter zu finden, sondern möglichst Deutsche von einer Täterschaft auszuschließen (wir berichteten in der letzten tacheles).

Obwohl inzwischen klar ist, daß die drei zuerst festgenommenen deutschen Jugendlichen, organisierte Nazis sind, bleibt es bei Lippenbekenntnissen von Seiten der Staatsanwaltschaft gegen die Skinheads weiter zu ermitteln. Die Jugendlichen wiesen im Gesicht Brandspuren auf, die nach Aussage von Rechtsmedizinern durch eine Verpuffung hevorgerufen wurden.

Doch trotz dieser und anderer Hinweise, die auf eine Täterschaft schließen lassen, konzentriert sich die Staatsanwaltschaft mit einer gewollten Scheuklappe auf dem rechten Auge, ganz auf die widersprüchlichen Aussagen eines Sanitäters, die zu der Verhaftung des Libanesen Safwan Eids führten. Seine Identität wurde im Gegensatz zu denen der Skinheads, schon kurz nach der Festnahme in der ganzen Welt bekanntgegeben. Ein angemessener Täter für die Weltöffentlichkeit war gefunden, dessen Identität nicht für schützenswert erachtet wurde. Während beharrlich darauf bestanden wird, das Feuer wäre im ersten Stockwerk ausgebrochen und könne nur von einem Hausbewohner selbst gelegt worden sein, werden nicht nur die gegen-
teilige Aussage des Brandsachverständigen Achilles ignoriert, der von einem wahrscheinlichen Brandherd im Erdgeschoß spricht, sondern auch sämtliche Aussagen der Hausbewohnerinnen, die eine Täterschaft Safwan Eids mehr als in Frage stellen.

Eine „Internationale, unabhängige Untersuchungskomission“,bestehend aus Rechtsanwältinnen aus Frankreich, Italien, England, Israel und den Niederlanden hat sich derweil der Aufgabe angenommen, das Verfahren gegen Safwan Eid
zu beobachten und bei der Wahrheitsfindung zu helfen. Eine Beschwerde dieser Komission, die sich gegen die Inhaftierung Safwans richtete, wurde nur zwei Stunden nach Entsendung per Fax abgewiesen.

Für die Komission steht fest, daß es sich bei Safwans Fall um „systematische, rassistische Ermittlungen“ handelt, die dazu verhelfen sollen, eine deutsche Täterschaft nicht zuzulassen.

Hattingen…

Rechtsanwalt Heiermann zeigte im weiteren Verlauf des Abends die Parallelen des Verfahrens seiner Mandantin Frau Üngver zum Lübek-ker Fall auf.

Nur eine Woche nach „Solingen“ wurde ein
Brandanschlag auf das Haus der Familie Üngver verübt. Obwohl auch hier drei Skinheads in der Nähe des Hauses zur Tatzeit gesehen wurden, stand für die Ermittler schon nach wenigen Stun-. den fest, daß Frau Üngver die Tat selbst begangen haben “mußte“. „Der Solidarität nach Solingen“ sollte die Spitze genommen werden, so äußerte sich im Prozeß ein Beamter, der das Verhör führte. Damit dies dann auch geschah, wurden keine Beweise benötigt um einen Prozeß gegen Frau Üngver eröffnen zu können und ein Motiv wurde schnell erfunden: Frau Üngver hätte den Brand in der Hoffnung auf Spendengeldern selbst gelegt. Später hieß es dann, Frau Üngver hätte familiäre Schwierigkeiten und wollte in die Türkei zurück.

Letztendlich führten fehlende Beweise und Motive zum Freispruch von Frau Üngver.

Wuppertal…

TeilnehmerInnen der Veranstaltung wiesen auf ein Ende Februar verübten Brandanschlag auf ein Haus in der Luisenstraße in Wuppertal hin. Ein Marokkaner, der zur Tatzeit in der Nähe des Hauses auf der Straße aufgegriffen wurde, steht unter Verdacht den Anschlag verübt zu haben obwohl auch hier ein Motiv und Beweise fehlen. Bei einem zwei Wochen zuvor verübten Anschlag, konnten die Bewohnerinnen sich nur knapp über ein am Haus aufgestelltes Baugerüst retten. Eine Solidarisierung von Seiten der Bevölkerung gab es nach beiden Anschlägen nicht.

„80% aller Brandanschläge werden nicht aufgeklärt“ (Heiermann)

Sowohl die Vertreterinnen des „Antirassistischen Telefons Hamburg“ als auch Rechtsanwalt Heiermann betonten, daß eine zunehmende Entsolidarisierung mit den Brandanschlagsopfern zu spüren sei. Immer mehr scheinen auch „Linke“ rassistische Argumentationsmuster zu entwickeln, um die Brände zu erklären. Es entsteht immer mehr ein Bild vom „irrationalen Ausländer“ der gedankenlos den Herd anläßt oder aus Wut auf einen Nachbarn das Haus ansteckt.

Im Laufe der Diskussion schien sich immer mehr Peinlichkeit und Ratlosigkeit unter den Teilnehmerinnen auszubreiten. Heiermann reagierte auf die spürbare Unsicherheit mit dem Rat, die Verantwortlichkeit nicht auf Justiz und Polizei abzuzwälzen, sondern selbst den Kontakt zu den Opfern aufzunehmen.

Nach Aussage des „Antirassistischen Telefons Hamburg“ befindet sich Safwan Eid momentan in einem psychisch sehr labilen Zustand. Deswegen wäre es schön, wenn möglichst viele Solibriefe/Karten in deutscher Sprache an ihn geschickt würden:

Satwan Eid

JVA Lübeck Marly – Ring 23568 Lübeck

Rübe