Editorial

Je mehr Tacheles einer redet, desto unbeliebter ist er. Schnell stempelt man ihn zum Idioten, zum Clown, der nicht ernstgenommen werden darf. Wirft man einen Blick zurück in die Geschichte, so gibt es zahlreiche derartiger Figuren. In der jüngeren Geschichte fällt einem spontan die 68er Generation ein, die man allzuschnell als ein Konglomerat langhaariger linker Chaoten abqualifizierte. Aber auch die Grünen in ihren Anfängen und, etwas weiter zurückblickend, die SPD wären da zu nennen. Während letztere zu Anfang gefürchtet, verfemt, verhaßt und in den letzten zwölf Jahren der Bismarck-Zeit, von 1878 bis 1890, verfolgt wurde, galten erstere als träumende schmuddelige Turnschuhpolitiker, die wieder zurück in die Steinzeit wollten. Was früher galt, ist heute immer noch aktuell. Und so verwundert es einen nicht, daß sich die Geschichte vom Idioten, wenn auch mit anderen Figuren und Konstellationen, auch heute immer wieder ereignet. Nicht zuletzt gilt dies auch für das vorliegende Druckwerk. Den einen sind wir mittlerweile zu bürgerlich geworden. Wir seien nicht mehr radikal genug, heißt es da in autonomen Kreisen. Zudem fehle uns die Breitenwirkung: statt den einfachen Menschen von der Straße anzusprechen, würden wir zu einer elitärlinksliberalintellektuellen Zeitung verkommen. Paradoxerweise ist die tacheles in den Augen anderer schlichtweg ein autonomes Schmierblatt (Im Jargon des Solinger Tageblatts heißt das dann “Antifa-Postille”). Und auch im Urteil führender Solinger Politiker schneidet die tacheles nicht gut ab: Während der eine es wenigstens noch offen sagt: “So’n Quatsch les ich nicht” (Oberstadtdirektor Ingolf Deubel), machen es andere hinterrücks und versuchen, Anzeigenkunden davon abzuhalten weiterhin in der tacheles zu werben. Schließlich hat sich sogar auch bei Teilen der Grünen gewisses Unbehagen gegenüber unserem Blatt breitgemacht. Wie es ausgeht werden wir noch sehen… . Zuguterletzt muß noch ein honoriger Bürger dieser Stadt erwähnt werden, der sich zu Anfang des Jahres im alt-ehrwürdigen Schloß Burg von seinen stramm- und aufrechtgebliebenen Kameraden hat hochleben lassen. Die Rede ist von Günther Kissel. Der Prozeß gegen die tacheles ist immer noch nicht zu einem Ende gekommen und man darf gespannt sein, ob es Kissel gelingt im Doppelpaß mit der Wuppertaler Staatsanwaltschaft seine braungetränkte Weste wieder einmal weißzuwaschen (Wie schon gesagt, die Geschichte wiederholt sich ständig).

Trotz aller Kritik, oder besser gesagt: wegen aller Kritik ist es nötiger denn je, Stachel im Fleisch derer zu sein, die in Solingen das Sagen haben. So will diese Zeitung Organ all derer sein, die sich nicht mit dem Grau(en) der Solinger Politik abfinden, die nicht akzeptieren, daß Politik zu einem Forum der Industrie und Handelskammer verkommt und die trotz allgemeiner Utopie- und Ideenlosigkeit die Vision einer solidarischen und geschwisterlichen Gesellschaft in sich tragen. Zugleich will diese Zeitung Anwältin all derer sein, deren Stimmen nicht gehört werden. Wer berücksichtigt denn z. B. die Interessen von Jugendlichen und Frauen bei der Neugestaltung des Mühlenhofs? Darüberhinaus stellt die tacheles als alternative Zeitung einen Gegenpol zur üblichen Hofbericht-erstattung der hiesigen Medien dar.

Zum Schluß möchten wir uns noch bei all denen bedanken, die sich, in welcher Form auch immer, solidarisch mit der tacheles gezeigt haben und hoffen, daß es noch mehr Menschen in Solingen gibt, die sich nicht mehr bevormunden lassen und ihre Interessen in die eigene Hand nehmen.

Also dann, viel Spaß beim Lesen!

Eure tacheles Redaktion