Verkauft die Stadt ein Mahnmal?

Nach dem Krieg hatte die VVN vorgeschlagen, ein Mahnmal gegen den Naziterror in Solingen zu errichten. Auf Vorschlag des damaligen Oberbürgermeisters Maurer wurde statt dessen ein Mahnmalhaus für die Opfer des NS-Regimes und ihre Angehörigen erbaut. Das Land gab erhebliche Finanzmittel dazu. Heute will die Stadtverwaltung es ebenso wie die anderen städtischen Häuser den derzeitigen Mietern verkaufen. Der folgende Bürgerantrag wendet sich gegen die Privatisierung des Mahnmalhauses an der Kamper Straße/Ecke Sauerbreystraße.

Am 30.1.1997 fand eine Ausschußsitzung zu diesem Thema statt. Dabei blieb die Verwaltung bei ihrer Verkaufsabsicht. SPD, CDU und FDP sprachen sich eher gegen den Antrag aus, einzig die Grünen bestanden auf der prinzipiellen Unmöglichkeit, ein solches Mahnmal zu verkaufen. Der Alternativvorschlag von Karl Bennert, dann wenigstens mit den Verkaufserlösen ein Mahnmal gegen Rassismus und Faschismus zu errichten, fand ebenfalls keine Zustimmung (das wundert niemand, der die Herumeierei der PolitikerInnen in der Frage der Errichtung eines städtischen Mahnmals zum Brandanschlag verfolgt hat). Die engagierte Diskussion der UnterzeichnerInnen im Ausschuß hatte zumindest zur Folge, daß die Frage der Privatisierung und die Forderung nach einer Dokumentationsstätte bei einem „runden Tisch“ nochmals besprochen wird. Ob es was hilft? Angesichts des Fehlens von angemessenen Erinnerungsorten für die Opfer des Naziterrors gerade in Solingen bleibt nur das Prinzip Hoffnung.

Krabat

Dokumentation

An die Unterkommission zur Vorberatung von Anregungen und Beschwerden
z. Hd. Herrn Oberbürgermeister Gerd Kaimer
Rathaus Cronenberger Straße

42651Solingen

Solingen, den 16.12.1996

Anregungen und Beschwerden gemäß §24 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen

Die Unterzeichnenden empfehlen dem Rat und der Verwaltung der Stadt Solingen:

Das Mahnmalhaus Kamper Straße/Ecke Sauerbreystraße soll weder in Teilen noch in Gänze verkauft werden. Es soll dauerhaft im Besitz der Stadt bleiben.Das Haus soll weiterhin als Mahnmalhaus dienen. Beim Freiwerden von Wohnungen sollen diese vorrangig Angehörigen der Opfer des Nationalsozialismus und Flüchtlingen, die wegen ihres Geschlechtes, ihrer Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft hres Glaubens oder ihrer religiösen oder politischen Anschauungen verfolgt werden oder wurden, vermietet werden.

Sobald eine Wohnung im Mahnmalhaus durch Umzug von Mietern frei wird, soll diese als Dokumentationsstätte der Verfolgungen im Nationalsozialismus und des Widerstands gegen ihn dienen. Gleichzeitig soll diese Wohnung als Gästewohnung für Besucherinnen und Besucher aus den Partner- und Patenstädten Solingens sowie für Angehörige von im Nationalsozialismus Verfolgten hergerichtet werden.

Begründung:So wie jedes Mahnmal, so hat auch dieses Mahnmalhaus so etwas wie eine innere Seele, und die hat es nicht nur auf Zeit. Dieses Haus verkörpert einen Teil des kollektiven Gewissens unserer Stadt, es hält die Erinnerung an ein dunkles Kapitel unserer Geschichte wach und lebendig. Eine Erinnerung, die nicht verloren gehen darf, weil aus ihr die Kräfte für eine menschenwürdigere Zukunft erwachsen. Es ist ein Mahnmal gegen das Vergessen, Verharmlosen und Verdrängen.

Ein Mahnmal verkauft man nicht zur beliebigen Nutzung durch Privatinteressen, so wie auch ein Mensch seine Vergangenheit, seine Geschichte nicht zu Markte tragen kann, weil sie ihm lästig zu werden droht oder er sie eintauschen will gegen Geld. Auch ein Gemeinwesen wie die Stadt Solingen braucht Zeugnisse seiner Geschichte, braucht das Gedenken an seine Vergangenheit, an die menschlichen Tragödien, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen, damit dem Ungeist keine neuen Stimmen zuwachsen, sondern Hoffnung und Kraft gedeihen können für ein lebenswertes Morgen. Nur ein Leben, das seine Erinnerungen erträgt, ist ein bewußtes Leben.

Mit der beabsichtigten Privatisierung läuft die Kommune Gefahr, ein wichtiges Zeugnis gegen den Nationalsozialismus preiszugeben, eine mahnende Stimme verstummen zu lassen.

Karl Bennert, Willi Gottfried, Armin Alfermann, Günter Wißmann, Dr. Horst Sassin, Werner Böwing