Heimspiel für wen?

Eine unendlich-unerträgliche Geschichte kommt auf den Punkt

Ihr haltet die erste Sonderausgabe der tacheles in Euren Händen. Anlaß ist ein Prozeß, den die Staatsanwaltschaft auf Initiative von Günther Kissel gegen uns führt. Aufhänger dafür ist ein Artikel in der tacheles Nr. 1, in der ein Autor Günther Kissel als „rechtsextremistischen Drahtzieher, Volxverhetzer und Auschwitzleugner“ bezeichnete. Kissels Publikationen in zahlreichen rechtsextremistischen Kampfblättern; sein Engagement für Thies Christophersen – den Autor der „Auschwitzlüge“, in dem dieser behauptet, es habe in Auschwitz keine Gaskammern gegeben -, sowie für den KZ-Mörder Gottfried Weise und den Hitler Stellvertreter Rudolf Hess; seine Tätigkeit als Organisator der „Düsseldorfer Herrenrunde“, die regelmäßig Einladungen an hochkarätige Rechtsextremisten organisiert und seine Spendentätigkeit für die NPD werden in dieser Stadt offensichtlich entweder nicht zur Kenntnis genommen oder verharmlost.

Das Verfahren gegen die tacheles wurde eingeleitet durch ein Schreiben der Wuppertaler Anwälte Kegel-Trenz-Züllich & Partner im Auftrag von Kissel vom 4.1.1996: „Namens und im Auftrag unseres Mandanten bitten wir die beiden Artikel in strafrechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Rein vorsorglich erstatten wir ausdrücklich im Auftrag unseres Mandanten „Strafantrag“…“. Soviel Vorsorge war offensichtlich unbegründet. Bezieht sich die von Oberstaatsanwalt Majorowsky erstellte Anklageschrift doch exakt auf die Formulierungen, für die auch schon Kissels Anwälte besonders „um Prüfung“ baten. Bei dem ersten Anruf der politischen Polizei am 22.2.1996 in der Wohnung des verantwortlichen Redakteurs war denn auch für die Polizei von besonderem Interesse, wer denn Grisu und Dieter Kawuttke, die Autoren zweier kritischer Artikel zu Kissel, und wer denn die Mitglieder des Redaktionskollektives seien. Die Neugier war offensichtlich weit größer als die selbst von der Staatsanwaltschaft behauptete strafrechtliche Relevanz: Richtet sich doch die Anklageschrift nur gegen einen der beiden Artikel. Es ist zu befürchten, daß auch die Gerichtsverhandlung mehr der Aburteilung von AntifaschistInnen, die allzu offen gegen einen „honorigen“ Bürger unserer Stadt Stellung beziehen, dienen soll, als der Aufklärung darüber, ob es denn stimmen könne, wenn mensch Günther Kissel wie oben erwähnt bezeichnet: Wie anders ist es zu verstehen, daß das Gericht den mit einschlägigen Kissel-Zitaten ausführlich begründeten 6-seitigen Beweisantrag zur Vernehmung von Kissel umgehend ablehnte? Nun denn, der Anwalt des Angeklagten hat Kissel nichtsdestotrotz im Selbstladeverfahren als Zeugen geladen.

Es wird im Prozeß versucht werden, den Schleier des Verdrängens von der Person Günther Kissels zu reißen und seine rechtsextremistischen Publikationen und Organisationstätigkeiten zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Dies wird nicht einfach werden. Ob es uns gelingen wird? Kissel erhält als größter Solinger Bauunternehmer nach wie vor öffentliche Bauaufträge auch über das rechtlich Zwingende hinaus; der Oberbürgermeister und der Oberstadtdirektor nehmen nach wie vor an Einweihungen von Kissel-Bauten teil. Vertreter der Stadt treffen sich nach wie vor mit einer Bauinnung, die Kissel wieder und wieder zu ihrem Obermeister wählt. Der Vorstand des Schachclubs SG 68 war sich nicht zu schade, Kissel als offiziellen Sponsor für seinen Verein zu gewinnen und ließ erst davon ab als Kissel angesichts der (teilweisen) öffentlichen Entrüstung kalte Füße bekam. Weiterhin baut Kissel nicht nur für Klaus Seltmann, Ex-CDU-Vorsitzender (Architekt) und dessen Frau (Bauherrin). Er baut auch für den Tageblattverleger Bernhard Boll dessen neues Gebäude im Walder „Rundling“… . Bei diesen Auftragsvergaben gibt es nicht einmal die Ausrede einer öffentlichen Ausschreibung – Es ist allein vom Willen der Bauherren abhängig, ob der bekannte Rechtsextremist den Auftrag erhält.

Diejenigen, die sich schämen, daß G. Kissel in Solingen immer noch als honoriger Bürger behandelt wird, haben angefangen, sich zu wehren. Vor Jahren standen noch AntifaschistInnen der VVN und DKP gegen Kissel. Auch der Beschluß der Grünen-Hauptversammlung vom 9. November (!) 1988, grundsätzlich keinen öffentlichen Aufträgen an Kissel mehr zuzustimmen blieb weitgehend folgenlos. Mit der Besetzung eines Baustellengerüstes zum Jahrestag des Brandanschlages 1995 setzte die Solinger Antifa ein wichtiges Zeichen, sie zahlen allerdings heute noch an den Prozeßkosten und ein Verfahren dazu steht noch aus. Die Erstellung einer 184-seitigen Kissel-Dokumentation durch das Antifa-Archiv und die Aktionswoche „Couragiert handeln gegen Rechte und ihre GeldgeberInnen“ von einem Zusammenschluß der verschiedenen Solinger antirassistischen und antifaschistischen Gruppen waren sicherlich qualitative Sprünge in der Arbeit gegen die rechtsextremistische graue Eminenz. Die Besetzung eines Krans des Kissel-Konzerns folgten ebenso wie der gemeinsame Protest der SchülerInnen und LehrerInnen der Geschwister-Scholl-Schule gegen eine Vergabe ihres Erweiterungsbaus an Kissel. Wir verbinden mit dem Prozeß gegen die tacheles die Hoffnung, daß die rechtsextremistischen Inhalte von Kissels politischem Wirken endlich auch vor Gericht zum Thema werden. Um das Verfahren auch in einer eventuellen Berufung weiterführen zu können, brauchen wir Eure Unterstützung: Kommt zum Prozeß am 8.8. um 13.00 Uhr im Amtsgericht Solingen, Zimmer 105. Spendet für den Prozeß gegen die tacheles auf das Konto Nr. 2 415 456 300 bei der BfG-Bank, BLZ  330 101 11. Gemeinsam können wir es schaffen, den Panzer des Schweigens aufzubrechen.

Krabat